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Sechs Kurze Geschichten

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Àâòîð: Eschbach Andreas
Æàíð:

 

 


      Und nun ins Wasser. Er tat zitternd und bebend einen Schritt vor in den Schlamm des Flusses, so da? das Wasser seine Kn?chel umsp?lte. Es war bei?end kalt. Noch nie hatte er derartige K?lte am eigenen Leib gesp?rt. H?tte man ihm das befohlen, was er aus eigenem Entschlu? zu tun im Begriff war, er h?tte sich mit aller Kraft geweigert. Aber nun stieg ein nie gekanntes Gef?hl von Freiheit in ihm auf, einer Freiheit, die auf nichts anderem beruhte als auf seinen eigenen Kr?ften und F?higkeiten, eine Freiheit, die ihm niemand geben mu?te, sondern die immer sein eigen gewesen war und die er nun endlich entdeckt hatte.
      Schritt um Schritt watete er weiter in den Flu? hinein, mit zusammengebissenen Z?hnen und am ganzen Leib fr?stelnd. Der Strom zerrte gewaltig an ihm, als ihm das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte, und als es tiefer und tiefer wurde, mu?te er schlie?lich ganz eintauchen, was ihm nicht ohne einen Schrei gelang, und loslassen, sich forttragen lassen von der Str?mung.
      Er schwamm mit kr?ftigen, gleichm??igen Z?gen. Die K?lte raubte ihm fast den Atem, umschlo? ihn mit erbarmungslosem Griff. Aber er sp?rte eine animalische Wildheit in sich erwachen, eine rohe Entschlossenheit, das andere Ufer zu erreichen, und wenn es das Letzte sein sollte, was er im Leben tun w?rde. Diese Kraft setzte sich der K?lte entgegen und lie? ihn weiter kraftvoll ausholen.
      Und dann langte er auf der anderen Seite an, auf einer flachen Sandbank. Keuchend ri? er den Beutel auf und zerrte das Handtuch hervor, um sich damit trockenzureiben, die Glieder seines K?rpers wieder ins Leben zur?ck zu massieren. Er h?tte jauchzen k?nnen. Er hatte es geschafft. Er hatte es tats?chlich geschafft. Triumphierend blickte er zur?ck auf die Seite, die er hinter sich gelassen hatte, sah vereinzelte Lichpunkte in weiter, weiter Ferne. Dann drehte er sich um, und da war nur Dunkelheit, reine, finstere Nacht, in der kein Licht au?er dem des Mondes existierte. Er hatte es geschafft. Er war ihnen entkommen.
      Er war… drau?en!
      Nachdem er sich wieder angezogen hatte, drang er behutsam in den Wald vor. Fremdartige Ger?che umfingen ihn, s??liche D?fte, ekelerregende Ausd?nstungen, Ger?che von Moder und faulendem Holz. ?ste knackten unter seinen F??en und l?sten zischelnde Ger?usche irgendwo im Dunkel aus, die ihm Schauder ?ber den R?cken jagten. Ab und zu blieb er stehen und lauschte, am ganzen K?rper angespannt. Es war still, bis auf fernes Zirpen und Rascheln. Er konnte den Urwald um sich herum sp?ren wie einen einzigen riesigen Organismus, und er f?hlte sich, als marschiere er geradewegs in den Schlund eines kolossalen Ungeheuers.
      Er begriff, da? es nicht ratsam war, bei v?lliger Dunkelheit durch einen Dschungel zu stolpern, von dem er nichts wu?te. Er kehrte um und suchte sich einen gesch?tzten Platz am Waldrand. Sein K?rper gl?hte noch immer von dem kalten Wasser, und er sp?rte alle Lebenskr?fte in sich beben und pulsieren, aber er sp?rte auch bleierne M?digkeit aufsteigen, die M?digkeit eines anstrengenden Transatlantikfluges, eines langen Tages und einer ereignisreichen Nacht. Er legte sich nieder, zwischen Moos und raschelnden Bl?ttern, und schlief auf der Stelle ein.
      Als er erwachte, war es hell. Er brauchte einen Moment, bis ihm wieder einfiel, was geschehen war. W?re er an diesem Morgen in seinem Bett erwacht, er h?tte das Erlebte bereitwillig als phantastischen Traum akzeptiert. Aber dies war die Wirklichkeit. Mit einem Schlag war er hellwach.
      Die Sonne stand schon recht hoch am Himmel und brannte kraftvoll auf ihn herab. Er sah sich blinzelnd um. Bei Tag wirkte alles weit weniger bedrohlich, fast schon gew?hnlich. Da war der Flu?, den er durchschwommen hatte. Und wenn er sich umdrehte, der Wald mit seiner sinnverwirrenden Vielfalt verschiedener Pflanzen, B?ume, Str?ucher und Bl?ten. Tonak nahm sein B?ndel und stand auf. Der Dschungel wartete auf ihn. Mit dem gro?en, scharfen Messer, das er aus Tante Vataias K?che entwendet hatte, arbeitete er sich durch das Unterholz vorw?rts. Jetzt war der Wald wach. Um ihn herum, unsichtbar im Dickicht, spektakelte und krakeelte es ohrenbet?ubend, war unentwegt von irgendwoher ein Schnattern und Gackern, Zischen und Rascheln, Zwitschern und Gurren zu h?ren. Das grelle Sonnenlicht brach funkelnd durch das Dach der hohen B?ume und zauberte Schatten und Reflexe in unz?hlbaren Farben auf die Bl?tter, Bl?ten und Zweige ringsherum.
      Tonak versp?rte Hunger, und das in nicht geringem Ma?. Er konnte sich kaum erinnern, jemals derart hungrig gewesen zu sein. Sein Blick fiel auf einige Beeren. Sie mochten e?bar sein oder das pure Gift, er wu?te es nicht. Mi?trauisch pfl?ckte er einige der Beeren und roch daran, zerquetschte eine zwischen den Fingern und schnupperte wieder. Sie roch nicht gut, faulig und stechend. Er warf die restlichen Beeren weg und setzte seinen Weg fort.
      Er w?rde nicht umhin kommen, ein Tier zu t?ten, um es zu essen. Vorsichtshalber hatte er die Schu?waffe mitgenommen, die er im Keller in einer Schublade gefunden hatte und von der er vermutete, da? sie Onkel Peret geh?rte. Es w?rde eine Weile dauern, bis er sich eine eigene Waffe, einen Bogen etwa, gebaut hatte und gelernt, damit umzugehen. Vordringlich mu?te er eine Stelle finden, an der er ein st?ndiges Nachtlager errichten konnte und an der ihm frisches Wasser zur Verf?gung stand.
      Diese ?berlegungen machten ihn beinahe trunken vor Ekstase. Nie h?tte er zu hoffen gewagt, einmal tats?chlich Abenteuer zu erleben vergleichbar jenen, von denen er all die Jahre in dem unterirdischen, muffigen Lesesaal unter dem wachsamen Auge des Bibliothekars gelesen hatte. Und nun war es geschehen. Er war hier. Dies war die Erf?llung seines Lebens. Was immer jetzt noch kommen mochte, dies konnte ihm keiner mehr nehmen.
      Und dann war da pl?tzlich das Tier. Eine gro?e Raubkatze, die unvermittelt zwischen den B?umen stand wie hingezaubert und ihn aus gl?henden Augen musterte.
      Tonaks Herz schien mit einem Mal gro? und pochend seinen gesamten Brustkorb auszuf?llen. Blitzartig wurde ihm klar, da? diese Situation gemeint gewesen war, wenn in den alten B?chern vom ’Gesetz der Wildnis’ die Rede gewesen war. Einer w?rde jetzt das Fr?hst?ck des anderen werden – es war nur noch nicht klar, wer.
      Die Katze starrte ihn unverwandt und, wie es schien, unschl?ssig an, w?hrend sie langsam und unh?rbar n?herkam. Offenbar konnte sie ihren Gegen?ber noch weniger einordnen als dies umgekehrt der Fall war. Tonak griff mit einer langsamen, hoffentlich unauff?lligen Bewegung nach dem Revolver in seiner Tasche. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, die Waffe zu entsichern, dann hob er den Lauf und feuerte.
      Das Tier zuckte zusammen und wich fauchend zur?ck. Tonak feuerte erneut, und die Bestie jaulte auf. Es war nicht so leicht, zu t?ten, wie Tonak sich das vorgestellt hatte. Er hielt den Atem an und zielte zwischen die Augen, und gerade als die Katze zum Sprung ansetzen wollte, scho? er ein drittes Mal. Das Tier fiel um wie von einer Axt gef?llt.
      Mit einem nie zuvor erlebten Gef?hl der Befriedigung blickte er auf das tote Tier herab. Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals.
      In den Protokoll der Polizei, das er sp?ter unterschreiben mu?te und aufgrunddessen er angeklagt wurde wegen »unbefugten Eindringens in ein Naturreservat, unerlaubten und artfremden T?tens eines gesch?tzten Tieres und vors?tzlicher Besch?digung staatlichen Eigentums«, erfuhr er, da? sich dieser Kampf im Planquadrat 234/9 zugetragen hatte. Davon wu?te er in diesem Augenblick nichts. Er setzte das Messer an, um seiner Beute den Bauch aufzuschlitzen, sie zu zerlegen in e?bare Teile. Mitten im Schnitt blieb die Klinge an etwas Metallischem h?ngen, und als er nachsah, fand er eine kleine implantierte Plakette mit der Aufschrift:
      »Staatl. Wildnisverwaltung, Inventar-Nr. 32/00072/14200278«.
      © 1994

Die Haarteppichkn?pfer

      (Aus dieser Kurzgeschichte erstand der gleichnamige preisgekr?nte Roman.)
      Knoten um Knoten, tagein, tagaus, ein Leben lang, immer die gleichen Handbewegungen, immer die gleichen Knoten in das feine Haar schlingend, so fein und winzig, da? die Finger zittrig wurden mit der Zeit und die Augen schwach von der Anstrengung des Sehens – und die Fortschritte waren kaum zu merken; wenn er gut vorankam, entstand in einem Tag ein neues St?ck seines Teppichs, das vielleicht so gro? war wie sein Fingernagel. So hockte er an dem knarrenden Kn?pfrahmen, an dem schon sein Vater gesessen war und vor ihm dessen Vater, in der gleichen gebeugten Haltung, die alte, halbblinde Vergr??erungslinse vor den Augen, die Arme auf das abgewetzte Brustbrett gest?tzt und nur mit den Fingerspitzen die Knotennadel f?hrend. So kn?pfte er Knoten um Knoten in der seit Generationen ?berlieferten Weise, bis er in einen Trancezustand geriet, in dem ihm wohl war; sein R?cken h?rte auf zu schmerzen, und er sp?rte das Alter nicht mehr, das ihm in den Knochen sa?. Er lauschte auf die vielf?ltigen Ger?usche des Hauses, das der Gro?vater seines Urgro?vaters erbaut hatte – den Wind, der ewig gleich ?ber das Dach strich und sich in offenen Fenstern fing, das Klappern von Geschirr und die Gespr?che seiner Frauen und T?chter unten in der K?che. Jedes Ger?usch war ihm vertraut. Er h?rte die Stimme der Weisen Frau heraus, die seit einigen Tagen im Haus lebte, weil Garliad, seine Nebenfrau, ihre Niederkunft erwartete. Er h?rte die halbstumme T?rglocke scheppern, dann ging die Haust?r, und Aufregung kam in das Gemurmel der Gespr?che. Das war wahrscheinlich die H?ndlerin, die heute kommen sollte mit Lebensmitteln, Stoffen und anderen Dingen.
      Dann knarzten schwerf?llige Schritte die Treppe zum Kn?pfzimmer empor. Das mu?te eine der Frauen sein, die ihm das Mittagessen brachte. Unten w?rden sie jetzt die H?ndlerin an den Tisch einladen, um den neuesten Klatsch zu erfahren und sich irgendwelchen Tand aufschwatzen zu lassen. Er seufzte, zog den Knoten fest, an dem er gerade war, setzte die Vergr??erungslinse ab und drehte sich um.
      Es war Garliad, die da stand mit ihrem enormen Bauch und einem dampfenden Teller in der Hand und wartete, bis er ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung erlaubte, n?herzutreten.
      "Was f?llt den anderen Frauen ein, dich arbeiten zu lassen in deinem Zustand?" knurrte er. "Willst du meine Tochter auf der Treppe geb?ren?"
      "Ich f?hle mich heute sehr gut, Ostvan", erwiderte Garliad.
      "Wo ist mein Sohn?"
      Sie z?gerte. "Ich wei? es nicht."
      "Dann kann ich es mir schon denken!" schnaubte Ostvan. "In der Stadt! In dieser Schule! B?cher lesen, bis ihm die Augen wehtun, und sich Flausen in den Kopf setzen lassen!"
      "Er hat versucht, die Heizung zu reparieren, und ging dann fort, um irgendein Teil zu besorgen, wie er sagte."
      Ostvan stemmte sich von seinem Schemel hoch und nahm ihr den Teller aus den H?nden. "Ich verfluche den Tag, an dem ich zulie?, da? er in diese Schule in der Stadt geht. Hat Gott es bis dahin nicht gut mit mir gemeint? Hat er mir nicht f?nf T?chter geschenkt und dann erst einen Sohn, so da? ich kein Kind t?ten mu?te? Und haben meine T?chter und Frauen nicht Haare in allen Farben, so da? ich ?berhaupt nicht f?rben mu? und einen Teppich kn?pfen kann, der einst des Kaisers w?rdig sein wird? Warum will es mir nicht gelingen, aus meinem Sohn einen guten Teppichkn?pfer zu machen, damit ich einmal meinen Platz finde neben Gott und ihm helfen darf, am gro?en Teppich des Lebens zu kn?pfen?"
      "Du haderst mit deinem Schicksal, Ostvan."
      "Soll man nicht hadern mit so einem Sohn? Ich wei? schon, warum nicht seine Mutter mir das Essen bringt."
      "Ich soll dich um Geld bitten f?r die H?ndlerin", sagte Garliad.
      "Geld! Immer nur Geld!" Ostvan stellte den Teller auf das Fensterbrett und schlurfte zu einer stahlbeschlagenen Truhe, die geschm?ckt war mit einer Photographie des Teppichs, den sein Vater gekn?pft hatte. Darin lag das Geld, das vom Verkauf des Teppichs noch ?brig war, verpackt in einzelne Schachteln, auf denen Jahreszahlen standen. Er nahm eine M?nze heraus. "Nimm. Aber denk daran, da? das hier noch den Rest unseres Lebens reichen mu?."
      "Ja, Ostvan."
      "Und wenn Abron zur?ckkommt, schickt ihn sofort zu mir."
      "Ja, Ostvan." Sie ging.
      Was war das nur f?r ein Leben, nichts als Sorgen und ?rger! Ostvan zog einen Stuhl ans Fenster und lie? sich darauf nieder, um zu essen. Sein Blick verlor sich in der felsigen, unfruchtbaren Ein?de. Fr?her war er noch ab und zu hinausgezogen, um gewisse Mineralien zu suchen, die f?r die geheimen Rezepturen erforderlich waren. Einige Male war er auch in der Stadt gewesen, um Chemikalien oder Werkzeuge zu kaufen. Aber inzwischen hatte er alles beisammen, was er noch brauchen w?rde f?r seinen Teppich. Er w?rde wohl nicht mehr hinausgehen. Er war auch nicht mehr jung; sein Teppich w?rde bald fertig sein, und dann war es Zeit, ans Sterben zu denken.
      Sp?ter, am Nachmittag, unterbrachen schnelle Schritte auf der Treppe seine Arbeit. Es war Abron.
      "Du wolltest mich sprechen, Vater?"
      "Du warst in der Stadt?"
      "Ich habe Ru?steine gekauft f?r die Heizung."
      "Wir haben noch Ru?steine im Keller, genug f?r Generationen."
      "Das wu?te ich nicht."
      "Du h?ttest mich ja fragen k?nnen. Aber dir ist jeder Vorwand recht, um in die Stadt gehen zu k?nnen."
      Abron kam n?her, unaufgefordert. "Ich wei?, da? es dir nicht gef?llt, da? ich so oft in der Stadt bin und B?cher lese. Aber ich kann nicht anders, Vater, es ist so interessant…diese anderen Welten…es gibt so viel zu lernen – so viele Arten, wie Menschen leben…"
      "Ich will davon nichts h?ren. F?r dich gibt es nur eine Art zu leben. Du hast von mir alles gelernt, was ein Haarteppichkn?pfer wissen mu?, das ist genug. Du kannst alle Knoten kn?pfen, du bist eingeweiht in die Impr?gnierungen und in die F?rbetechniken, und du kennst die ?berlieferten Muster. Wenn du deinen Teppich entworfen hast, wirst du dir eine Frau nehmen, und ihr werdet viele T?chter haben mit verschiedenfarbigen Haaren. Und zur Hochzeit werde ich meinen Teppich vom Kn?pfrahmen schneiden, ums?umen und dir schenken, und du wirst ihn in der Stadt an die kaiserlichen H?ndler verkaufen. So habe ich es mit dem Teppich meines Vaters getan, und so hat er es zuvor mit dem Teppich seines Vaters getan, und dieser davor mit dem Teppich seines Vaters, meines Urgro?vaters; so geht es von Generation zu Generation, seit Tausenden von Jahren. Und so wie ich meine Schuld an dir abbezahle, so wirst du deine Schuld an deinem Sohn abbezahlen, und dieser wiederum an seinem Sohn und so fort. So war es schon immer, und so wird es immer sein."
      Abron seufzte gequ?lt. "Ja, sicher, Vater, aber ich bin nicht gl?cklich bei dieser Vorstellung. Am liebsten m?chte ich gar kein Haarteppichkn?pfer sein."
      "Ich bin ein Haarteppichkn?pfer, und deswegen wirst du ebenfalls ein Haarteppichkn?pfer sein!" Ostvan zeigte mit einer erregten Geste auf den unvollendeten Teppich im Kn?pfrahmen. "Mein ganzes Leben lang habe ich an diesem Teppich gekn?pft, mein ganzes Leben, und von dem Erl?s daf?r wirst du einmal dein Leben lang zehren. Du hast eine Schuld an mir, Abron, und ich verlange, da? du sie an deinem Sohn wieder abbezahlst. Und gebe Gott, da? er dir nicht so viel Kummer macht wie du mir!"
      Abron wagte nicht, seinen Vater anzusehen, als er entgegnete: "Es gibt Ger?chte in der Stadt, von einer Rebellion, und da? der Kaiser abdanken mu?… Wer kann denn noch Haarteppiche bezahlen, wenn der Kaiser nicht mehr da ist?"
      "Eher verl?schen die Sterne, als da? der Ruhm des Kaisers erlischt!" dr?hnte Ostvan. "Habe ich dir diesen Satz nicht schon beigebracht, als du noch kaum neben mir am Kn?pfrahmen sitzen konntest? Glaubst du, irgendwer kann einfach daherkommen und die Ordnung umsto?en, wie Gott sie gef?gt hat?"
      "Nein, Vater", murmelte Abron. "Nat?rlich nicht."
      Ostvan betrachtete ihn. "Geh jetzt und arbeite am Entwurf deines Teppichs."
      "Ja, Vater."
      Am sp?ten Abend setzten bei Garliad die Wehen ein. Die Frauen begleiteten sie in das vorbereitete Geb?rzimmer; Ostvan und Abron blieben in der K?che.
      Ostvan holte zwei Becher und eine Flasche Wein, und sie tranken schweigend. Gelegentlich h?rten sie Garliad im Geb?rzimmer schreien oder st?hnen, dann geschah wieder lange Zeit nichts. Es w?rde eine lange Nacht werden.
      Als sein Vater die zweite Flasche Wein holte, fragte Abron:
      "Was, wenn es ein Junge ist?"
      "Das wei?t du so gut wie ich", erwiderte Ostvan dumpf.
      "Was wirst du dann tun?"
      "Seit ewigen Zeiten gilt das Gesetz, da? ein Teppichkn?pfer nur einen Sohn haben darf, weil ein Teppich nur eine Familie ern?hren kann." Ostvan deutete auf ein altes, fleckiges Schwert, das an der Wand hing. "Damit hat dein Gro?vater meine zwei Br?der am Tag ihrer Geburt get?tet."
      Abron schwieg. "Du hast gesagt, Gott hat diese Ordnung gef?gt", brach es schlie?lich aus ihm heraus. "Das mu? ein grausamer Gott sein, findest du nicht?"
      "Abron!" donnerte Ostvan.
      "Ich will nichts zu tun haben mit deinem Gott!" schrie Abron und st?rzte aus der K?che.
      "Abron! Bleib hier!"
      Aber Abron rannte die Treppe zu den Schlafr?umen hinauf und kam nicht mehr zur?ck.
      So wartete Ostvan alleine, aber er trank nicht mehr. Die Stunden vergingen, und seine Gedanken verd?sterten sich. Schlie?lich mischten sich die ersten Schreie eines Kindes in die Schreie der Geb?renden, und Ostvan h?rte die Frauen klagen und weinen. Er stand schwerf?llig auf, als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, nahm das Schwert von der Wand und legte es auf den Tisch. Dann stand er da und wartete mit dumpfer Geduld, bis die Weise Frau aus dem Geb?rzimmer kam, das Neugeborene im Arm. "Es ist ein Junge", sagte sie gefa?t. "Werdet Ihr ihn t?ten, Herr?"
      Ostvan sah in das rosige, zerknitterte Gesicht des Kindes. "Nein", sagte er. "Er soll leben. Ich will, da? er Ostvan hei?t, genau wie ich. Ich werde ihn das Handwerk eines Haarteppichkn?pfers lehren, und wenn ich nicht mehr lange genug leben sollte, wird ein anderer seine Ausbildung abschlie?en. Bring ihn wieder zu seiner Mutter, und sag ihr, was ich dir gesagt habe."
      "Ja, Herr", sagte die Weise Frau und trug das Kind wieder hinaus.
      Ostvan aber nahm das Schwert vom Tisch, ging hinauf damit in die Schlafr?ume und erschlug seinen Sohn Abron.
      © 1995

Das fliegende Auge

      Mister President, meine Damen und Herren, ich will die Zeit des Anflugs nutzen, um die technischen Hintergr?nde dieses Projekts genauer zu erl?utern. Wie Sie sich vielleicht erinnern – es ging damals durch die Presse – ist es Ende 1999 in Berkeley Wissenschaftlern erstmals gelungen, die Augen einer Katze so an einen Computer anzuschlie?en, da? auf dem Bildschirm erschien, was diese Augen sahen. Kurze Zeit sp?ter – wie soll ich sagen? – fanden die wichtigsten Mitglieder dieses Forscherteams das Angebot attraktiv, von Berkeley nach Langley zu wechseln und die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht mehr zu publizieren, im Austausch f?r die Gewi?heit, ihrem Land und der Freiheit zu dienen – und f?r eine Menge Geld, nat?rlich. Im Jahr darauf funktionierte das, was mit Katzenaugen gegl?ckt war, auch mit den Augen von V?geln, und 2001 waren die zugeh?rigen Sender klein und leicht genug, um sie den Tieren auch einzupflanzen. Sie erinnern sich an die Aufnahmen aus Muammar Ghaddafis Garten? Ein Falke, den wir ihm ?ber einen Mittelsmann zukommen lie?en. Ein sch?nes Tier. Und Sie wissen ja, wie diese Orientalen sind – vernarrt in Falken und Hengste und all solches Zeug.
      Hmm, ja. Das ist leider wahr – man hatte vergessen, die Ohren des Tieres anzuschlie?en. Wir konnten Ghaddafi bei zahlreichen Gespr?chen beobachten, aber nichts h?ren. Ja, korrekt; das f?hrte zu einem ?berraschenden Wechsel an der Spitze des CIA. Nein, wir haben nat?rlich Lippenleser eingesetzt, auch solche, die des Arabischen m?chtig sind, aber diese Schnauzb?rte… Aussichtslos.
      So, wir sehen nun Peking, meine Damen und Herren, aus etwa f?nfzig Metern H?he. Das Auge einer Fliege an einen Computer anzuschlie?en, ich kann es Ihnen versichern, ist eine technische Meisterleistung. Wie Sie vielleicht wissen, hat eine Fliege, wie alle Insekten, Facettenaugen, die v?llig anders funktionieren als die Augen von S?ugetieren oder V?geln. Eine Vielzahl von einzelnen starren Augen, nicht wahr, die eine Vielzahl von einzelnen Bildern liefern… Aber da sie alle an einen Computer angeschlossen sind, kann man mit entsprechender Software die Informationen der einzelnen Facetten zu einem Gesamtbild umrechnen, das uns Menschen verst?ndlich ist.
      Ja, richtig, das ist das, was Sie hier auf dem Bildschirm sehen, Herr Verteidigungsminister. Peking, wie es eine Fliege sieht. Das, was wir gerade ?berfliegen, m??te der T’ien-T’an-Park sein, dieses Geb?ude da unten die Gebetshalle f?r gute Ernten… Stammt nat?rlich noch aus der Zeit vor der Revolution. Dort vorne sieht man schon das gro?e Mao-Standbild, wir sind also tats?chlich im Ch’ung-Wen-Distrikt… Achten Sie auf das niedrige gelbe Geb?ude schr?g dahinter, ungef?hr in Bildmitte, das ist der Sitz des chinesischen Ministerpr?sidenten. Wir halten direkt darauf zu.
      Wie bitte? Ja, selbstverst?ndlich, wir k?nnen die Fliege steuern. Sonst w?rden wir wahrscheinlich im n?chsten Misthaufen landen, nicht wahr, ha ha? Dirigieren ist das bessere Wort, ja. Kleine elektrische Impulse, die die Flugrichtung beeinflussen. Es funktioniert ziemlich gut – jedenfalls haben die Jungs eine Menge erstklassiger Aufnahmen aus Damenumkleider?umen… Oh, Verzeihung, Frau Au?enminister.
      Wie auch immer, diese Fliege ist vor einigen Tagen von einem ferngelenkten Miniatur-U-Boot an der nordchinesischen K?ste ausgesetzt worden und hat sich in langen Flugetappen Richtung Peking bewegt. Die Funksignale sind nat?rlich verschl?sselt und werden per Satellit… Die Energie? Ja, Sie haben recht. Das ginge nicht, wenn wir der Fliege auch noch eine Batterie h?tten aufb?rden m?ssen; damit w?re sie auch nicht weit gekommen. Nein, die elektrischen Anschl?sse im K?rper der Fliege beziehen ihre Energie direkt aus den Zellen, ?ber einen elektrochemischen Proze?, den ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden habe. Der Professor kann Ihnen das nachher sicher besser erkl?ren als ich. Nein, billiger ist es auf keine Fall. Die Umr?stung dieser Fliege hat ungef?hr f?nfzehn Millionen US-Dollar gekostet. Wobei man ber?cksichtigen mu?, da? sich dieser Betrag reduzieren wird, sobald wir ?ber das Prototyp-Stadium hinaus sind. Ich sage das, weil der Herr Staatssekret?r hier einen Moment bla? wurde… Nichts f?r ungut, Jim!
      So – das m??te das Fenster zum B?ro des Ministerpr?sidenten sein. Wir lassen die Fliege auf der Fensterscheibe landen, so da? wir hineinschauen k?nnen. Hervorragend. Punktlandung. Die Fliege dreht sich einmal auf der Stelle, damit unsere Jungs in der Steuerung sich in Ruhe umschauen k?nnen. Ich sch?tze mal, sie werden die L?ftungsklappe dort oben nehmen… Richtig. Sicherheitshalber bleibt die Fliege am Boden, beziehungsweise an der Scheibe, weil… f?nfzehn Millionen Dollar, daf?r kann man eine Menge Cadillacs kaufen, nicht wahr?
      Ah! Fliegengitter! Das ist jetzt nat?rlich ein Hindernis. Aber ich sch?tze, jeder von Ihnen kennt das – man glaubt, man hat das ganze Haus abgedichtet, und trotzdem kommen die Biester irgendwie rein. Ja, und was soll ich sagen: seit wir mit der Fliege durch die Gegend schwirren, wissen wir auch, warum. Wie die das machen. Sehen Sie, hier hat das Fliegengitter im Fenster des chinesischen Ministerpr?sidenten eine L?cke. Die haben nicht wir gefunden, die hat die Fliege selber gefunden. Die Burschen aus der Steuerzentrale haben ihr nur das dringende Bed?rfnis eingegeben, in den Raum dahinter zu gelangen, und siehe da, unsere Fliege findet einen Weg. Und drin sind wir!
      Das ist der besondere Vorteil dieses Verfahrens – da? das Tier lebt. Es ist kein Roboter, kein ferngesteuertes Flugobjekt – es ist ein Lebewesen, das wir lediglich dorthin lenken, wo wir es haben wollen. Alles andere macht es selber. Es fliegt, es versorgt sich mit Nahrung – um all das m?ssen wir uns nicht k?mmern.
      So, Ladies und Gentlemen, das ist jetzt der Anflug auf den Schreibtisch. Nein, nein, das ist keine Aufzeichnung, das ist alles live. Nat?rlich laufen Recorder mit, au?erdem sitzen Agenten mit hervorragenden Kenntnissen des Chinesischen im Nebenraum… Wie bitte? Ja, ich glaube, Sie haben recht – die zweite Person ist der Verteidigungsminister! Gut m?glich, da? die Papiere auf dem Tisch geheime milit?rische Unterlagen sind. Sehen Sie nun, wie wunderbar das ist? Eine unscheinbare, absolut unverd?chtige Fliege ist unser Auge und unser Ohr. Bitte sehen Sie mir meine Begeisterung nach. Ein harmloses Insekt, nicht der Rede wert, krabbelt am Rand des Tisches, an dem diese beiden M?nner sitzen, und sie kommen nicht im Traum auf die Idee, da? sie belauscht und beobachtet werden. Eine kleine Schmei?fliege, die ein besserer Agent ist, als James Bond es je…
      Oh! Das ist jetzt nat?rlich ziemlich… wie soll ich sagen? Bitte – einen Moment… Kann ich eben mal kurz telefonieren? Sicher gibt es daf?r einen Grund…
      Hi, George? Was ist los? Ihr habt den Funkkontakt verloren.
      Nein? Aber hier ist alles tot. Der Bildschirm zeigt nur noch Schneegest?ber, und ich glaube nicht, da? es im Sommer in Peking…
      Wie? Nein, das habe ich jetzt nicht verstanden. Was hat das letzte Bild damit zu tun? Ihr habt es analysiert, ja, und? Was ist darauf zu sehen?
      Ah. Die Peking Rundschau…?
      © 1999

Warum es w?hrend der Sonnenfinsternis regnen mu?te

      In der Woche vor der Sonnenfinsternis 1999 war im Himmel die H?lle los. Botenengel flitzten, das Hosiannasingen wurde mehrere Male kurzfristig abgesagt, und das Frohlocken fiel deutlich unfroher aus als ?blich. »Wie allgemein bekannt sein d?rfte«, er?ffnete einer der Erzengel die Krisensitzung und hielt dabei den Fahrplan der Himmelsk?rper in die H?he, »findet am 11. August ?ber Europa eine totale Sonnenfinsternis statt.« »Sch?n!« freute sich der Leiter der Schutzengelstaffel. »Ja, sicher.« Der Erzengel warf ihm einen absolut unlustigen Blick zu. »Eines der ergreifendsten Naturschauspiele, die der Chef erfunden hat, zweifellos – die Situation ist nur, da? wir in einer Weise ausgetrickst worden sind, da? ich mich frage, was die Schutzengel die ganze letzte Zeit eigentlich getan haben.« »Wir haben unseren Dienst getan«, verwahrte der Angesprochene sich. »Ganz normal.« »Ausgetrickst?« fragte ein anderer Engel. »Von wem?« Der Erzengel seufzte. »Von wem wohl?«
      »Vom Versucher?« Der Engel kratzte sich am Heiligenschein. »Aber der kann doch nichts ausrichten gegen die Bewegung der Gestirne…?« »Das Problem ist«, setzte der Erzengel auseinander, »da? die Sonne sehr hell ist. Nicht so hell wie Sein Antlitz, nat?rlich, aber immerhin so hell, da? die Menschen eine Schutzbrille ben?tigen, um hineinzusehen. Und hineinsehen werden sie, um die ?berdeckung von Mond und Sonne zu beobachten.« »Und der Versucher hat verhindert, da? solche Schutzbrillen hergestellt werden!« »Leider war er viel raffinierter. Er hat einige Hersteller solcher Schutzbrillen dazu verf?hrt, den Tods?nden des Geizes und der Unm??igkeit anheimzufallen.« Als er die fragenden Blicke der anderen Konferenzteilnehmer bemerkte, f?gte der Erzengel zur Erl?uterung hinzu: »Ein paar Gesch?ftsleute, die den Hals nicht vollkriegen konnten, haben bei der Herstellung ihrer Brillen geknausert und minderwertige Lichtschutzfolie verwendet. Trotzdem haben diese Brillen das Pr?fsiegel erhalten – vermutlich haben sich einige Pr?fer des weiteren der Tods?nde der Tr?gheit schuldig gemacht -, und als Resultat sind nun Millionen von Schutzbrillen im Umlauf, die die Augen nicht ausreichend sch?tzen, aber von den tauglichen Brillen nicht zu unterscheiden sind.« Emp?rung und Entsetzen erklang in der Runde. »Die Schutzengel m?ssen eingreifen!« forderte jemand, ein anderer rief: »Dann mu? die Sonnenfinsternis ausfallen!« »Wir tun, was wir k?nnen«, erkl?rte der oberste Schutzengel, »aber ich verwahre mich dagegen, die L?sung des Problems allein auf uns abw?lzen zu wollen!« Hier stimmte ihm der Erzengel zu. »Der Chef hat ganz klar gemacht, da? ein Wunder nicht in Frage kommt. Er will, da? wir die Situation m?glichst unauff?llig bereinigen. Und mir f?llt dazu nur eine L?sung ein.« Er sah jeden einzelnen der Anwesenden an, bis sein Blick auf Petrus h?ngenblieb. »Eine Wolkendecke.« »Ja!« rief jemand. »Genau!« ein anderer. »Genial!« ein dritter. »Moment!« rief Petrus. »Halt! Schlagt euch das aus dem Kopf. Es ist August. Mitten im Sommer. Wir sind gerade dabei, eine richtiggehende Hitzewelle abzufackeln. Da geht gar nichts.« Der Erzengel breitete die Fl?gel aus, was bei seiner Spannweite ehrfurchtgebietend aussah. »Millionen schwitzender Menschen in den ?berf?llten Wartezimmern von Augen?rzten werden das zu sch?tzen wissen«, erkl?rte er sarkastisch. Petrus raufte sich den Bart. »Wo soll ich denn jetzt Wolken hernehmen? Ich habe ?ber Europa gerade nur Hochdruckzonen, hei?e Luftmassen, Warmluftfronten… Letztens hie? es noch, ich soll daf?r sorgen, da? es ein Jahrhundertereignis wird. Strahlender Himmel und Sonnenschein war gew?nscht. Bitte, ist unterwegs. Und jetzt auf einmal soll ich es regnen lassen?« Der Erzengel sah ihn bek?mmert an. »Wenn dir das nicht gelingt, und uns nichts anderes einf?llt«, meinte er, »dann hat der Verderber gesiegt. So sieht es aus.« Einer der kleinen Rauschgoldengel fl?tete: »Denk doch an die Kinder und ihre gro?en, unschuldigen Augen!« Petrus seufzte. »Wolken und Regen, ausgerechnet am Tag der Sonnenfinsternis. Das wird meinen Ruf endg?ltig ruinieren.« Er zuckte ergeben die Schultern. »Aber gut – ich werde tun, was ich kann…«
      © 1999

Jenseits der Berge

      Sie hatten Livet erwischt. Sie waren aus dem Nachthimmel heruntergekommen wie ein einst?rzendes Dach, schwarzes Geflatter dunkler als die Nacht, wirbelnde Krallen, messerscharf, gierig zischende M?uler, hatten Livet mit sich fortgetragen und Bran zur?ckgelassen, einfach so. Und ihr ohrenbet?ubendes Kreischen hatte geklungen wie h?hnisches Gel?chter.

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